Erfahrungsbericht einer ehrenamtlichen Richterin
Bericht einer ehrenamtlichen Richterin beim Sozialgericht Hannover:
Seit 17 Jahren bin ich ehrenamtliche Richterin und noch immer freue ich mich auf jeden Verhandlungstag.
Im Durchschnitt nehme ich alle 3-4 Wochen an einem Verhandlungstag mit ca. 6 Terminen teil. Die Kosten der Teilnahme (Verdienstausfall) werden ersetzt.
Vorrausetzung für dieses Ehrenamt ist auf keinen Fall, Kenntnisse aus dem Sozialgesetzbuch zu haben. Hierfür gibt es ja die Richter/innen, Vorsitzende genannt. Hilfreich ist Lebenserfahrung und Mut zum Fragen, wenn etwas nicht verstanden wurde. Aktive Teilnahme an der Diskussion im Beratungszimmer vor Urteilsverkündung, logisches Denken und Zusammenhänge erkennen. Dieses Zusammenspiel mit Auswertung der Fakten eines jeden Falles hat manches Mal ein bisschen was von einem Krimi, unglaublich spannend.
Es ist schon eine ziemlich große Verantwortung, ein Urteil mitzutragen/mit zu finden. Da kommen auch Gefühle hinzu, die es zu kontrollieren gilt. Ist ein Kläger oder dessen Rechtsanwalt sympathisch; verschreckt mich eine schneidende Stimme oder mag ich ein Rasierwasser nicht. Alles unwichtig, ausblenden. Zu Beginn trägt der Vorsitzende den Sachverhalt vor. Aufpassen, nicht ablenken lassen, weil die Klägerin vielleicht ein Kleid trägt, das aussieht wie das von Oma Ursel, die ich immer so gern hatte. Es geht nur, und nur um den Sachverhalt. Es gilt, eine Lösung für die Klage zu finden. Der Kläger soll auch bei einem für ihn negativen Klageausgang an Gerechtigkeit glauben können, dazu gehört auch, sich für die Verhandlung Zeit zu nehmen. Manchmal muss einem Kläger auch nur mit einfachen Worten der Sachverhalt mit den zugehörigen Gesetzen erklärt werden.
Es ist mir schon des Öfteren passiert, dass ich nach einem Verhandlungstag mit einem richtig guten Gefühl das Justizgebäude verlasse. Dass ich daran beteiligt sein durfte, dem Kläger zu einem für ihn positiven Urteil zu verhelfen. Das Strahlen der Augen bei Urteilsverkündung zu Gunsten des Klägers bleibt lang in Erinnerung. Manchmal geht es um einige Tausend Euro, die für den Kläger geradezu ein Vermögen bedeuten.
Dann aber die anderen Tage. Ich möchte dem Kläger Recht geben, sehe den Sachverhalt genau wie er. Aber dem entgegen stehen die anzuwendenden Gesetzte, da bleibt kein Spielraum für Interpretationen. Es ist hart, damit fertig zu werden. Im Beratungszimmer werden aber auch diese Gefühle ernst genommen und es besteht immer die Möglichkeit, sich mit den anderen Ehrenamtlichen Richtern und den Vorsitzenden auszutauschen.
Es ist eine persönliche Bereicherung, in diesem Ehrenamt zu arbeiten. Auch natürlich eine Abwechslung vom Beruf, da es wohl überwiegend ganz anders ist als jede Tätigkeit.
Hier sind Menschen im Gerichtsaal anzutreffen, denen es zum Teil richtig schlecht geht, gesundheitlich und/oder finanziell. Der Mensch neigt zum Jammern, auch ich. Durch meine Erfahrungen beim Sozialgericht hat sich in meiner Einstellung doch einiges „zurecht gerückt“.
Haben Sie auf keinen Fall Angst, wenn Ihnen dieses Amt angetragen wird. Sehen Sie es als aktive Sozialarbeit, übernehmen Sie die Verantwortung. Tragen Sie dazu bei, dass die Waage der Justitia im Gleichgewicht bleibt.
Ich freue mich riesig auf die nächsten 17 Jahre.