Niedersachsen klar Logo

Gegenstand des Verfahrens sind Leistungsansprüche aus einem Rahmenvertrag zu einem Ausschreibungsverfahren zu Grippeimpfstoffen in den Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland.

Sozialgericht Hannover

Beschluss

S 10 KR 724/17 ER

In dem Rechtsstreit

A.

- Antragstellerin -

Prozessbevollmächtigte:

B.

gegen

C.

- Antragsgegnerin -

Prozessbevollmächtigte:

D.

hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Hannover am 23. Juni 2017 durch die Richterin am Sozialgericht E. beschlossen:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vor-läufig verpflichtet,

1.

unverzüglich die F., die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsärzte in Rheinland-Pfalz und Saarland sowie die G. unter Verweis auf § 132 e Abs.2 Satz 2 SGB V in der bis zum 12. Mai 2017 gültigen Fassung, die gültige Impfvereinbarung und die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß § 12 SGB V über die zwischen den Parteien am 07.11.2016 geschlossene Rabattvereinbarung zu informieren,

2.

es zu unterlassen, Vereinbarungen abzuschließen, die der Exklusivi-tätszusage der Rahmenverträge zuwiderlaufen, insbesondere die Er-gänzungsvereinbarung zum Arzneimittelliefervertrag in der Fassung vom 01.10.2016“ zwischen der Antragsgegnerin und dem H. zur Preisvereinbarung über Grippeimpf-stoffe zu unterzeichnen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 928.000 € festgesetzt.

Gründe

Gegenstand des Verfahrens sind Leistungsansprüche aus einem Rahmenvertrag zu einem Ausschreibungsverfahren zu Grippeimpfstoffen in den Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland.

I.

Die Antragstellerin ist ein weltweit agierender Hersteller von Arzneimitteln und pharmazeutischen Spezialprodukten mit Sitz in Hannover. Die Antragsgegnerin ist eine allgemeine Ortskrankenkasse für die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland mit Sitz in Eisenberg.

Die Antragsgegnerin führte für sich, vier weitere Krankenkassen und sechs Ersatzkassen in Rheinland-Pfalz und Saarland im Oktober 2016 zwei Ausschreibungsverfahren durch, die die Antragstellerin gewann. Gegenstand war jeweils die Versorgung der Versicherten der Krankenkassen in den beiden Bundesländern mit saisonalen Grippeimpfstoffen 2017/2018 und 2018/2019 in Fertigspritzen mit (Los 2) bzw. ohne (Los 1) Kanüle. Es handelte sich dabei um Rabattvereinbarungen gemäß § 132 e Abs.2 SGB V a.F. i.V.m. § 130 a Abs.8 SGB V. Auftraggeberin des Vergabeverfahrens war die Antragsgegnerin dieses Verfahrens, die die Beschaffung zugleich im Auftrag der weiteren Krankenkassen durchführte. Diese hatten laut Ausschreibungsbedingungen die Antragsgegnerin beauftragt, das Vergabeverfahren und den Vertragsabschluss durchzuführen sowie die Vertragsdurchführung federführend umzusetzen.

Die Parteien schlossen am 07.11.2016 zwei Rahmenverträge. Vereinbart wurde darin die fristgerechte Versorgung durch die Antragstellerin mit Grippeimpfstoffen, die in einer Anlage zum Rahmenvertrag aufgeführt waren (Xanaflu, Influvac) und im Gegenzug die Gewährung eines Rabattes. Eine feste Liefermenge war nicht vereinbart; eine Abgabe sollte nach den Bestellungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte in den beiden Bundesländern im Rahmen des Sprechstundenbedarfs erfolgen. Es wurde eine Laufzeit von 24 Monaten beginnend mit dem 01.07.2017 vereinbart. Geregelt wurde in den Verträgen eine Exklusivität; die Krankenkassen verpflichteten sich, für die Laufzeit der Verträge keine anderweitigen Verträge im Rahmen der Rechtsgrundlage über saisonale Grippeimpfstoffe zu schließen. Spätestens am 15.09.2017 sollte die Antragstellerin die rechtzeitige und bedarfsgerechte Lieferfähigkeit der vereinbarten Impfstoffe gewährleisten. Auch eine Teilmenge sollte zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Im Falle eines Lieferausfalls wurde eine Teilaufhebung einer Exklusivität geregelt. Für diesen Fall sollte eine Information der Antragsgegnerin an die KV bzw. die Ärzte über eine Erlaubnis erfolgen, andere am Markt befindliche Grippeimpfstoffe abzufordern. Neben Vereinbarungen über Öffentlichkeitsarbeit fanden sich in den Verträge außerdem Regelungen zu Leistungsstörungen, Vertragsstrafen, Schadensersatzansprüchen und Kündigung der Verträge aus wichtigem Grund.

Durch das am 13.05.2017 in Kraft getretene Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz („AMVSG“) wurde der § 132 e Abs.2 SGB V ersatzlos gestrichen.

Aufgrund der Streichung fand am 02.05.2017 ein Gespräch zwischen den Parteien statt, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Einzelheiten einer Vereinbarung sind zwischen den Parteien streitig. Ein gemeinsames Protokoll existiert nicht.

Mit Schreiben vom 31.05.2017 wandte sich die Antragstellerin an die Antragsgegnerin und teilte mit, dass sie festgestellt habe, dass die Antragsgegnerin mit dem Saarländischen Apothekerverein (SAV) und dem Apothekerverband Rheinland-Pfalz (LAV) Grippeimpfstoffvereinbarungen bzw. Festpreisregelungen für die Jahre 2017 und 2018 abgeschlossen habe. Dies widerspreche den geschlossenen Rahmenverträgen. Sie forderte weitere Informationen und Erklärungen von der Antragsgegnerin. Diese lehnte die Forderung der Antragstellerin ab. Sie kündigte die Verträge mit Schreiben vom 02.06.2017 fristlos aus wichtigem Grund gemäß § 9 Abs.1 Satz 2a der Rahmenverträge und teilte zur Begründung mit, dass die Aufrechterhaltung der Verträge aufgrund der besonderen Konstellation des Versorgungsgeschehens in Rheinland-Pfalz und dem Saarland und nach Wegfall des § 132 e Abs.2 SGB V ihrer Auffassung nach nicht möglich sei.

Die Antragstellerin wandte sich am 10.06.2017 an das Sozialgericht Hannover und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Durchsetzung der geschlossenen Rahmenverträge.

Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass die Rahmenverträge entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin weiterhin wirksam seien. Die Streichung des §132 e Abs.2 SGB V habe nicht dazu geführt, dass die geschlossenen Verträge unwirksam werden würden. Den Gesetzesmaterialien lasse sich nur entnehmen, dass bestehende Rahmenverträge nicht verlängert werden dürften, nicht aber, dass geschlossene Verträge nicht weiter gelten würden. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen sei nicht von einer gesetzlichen Unwirksamkeit auszugehen. Ein mündlicher Aufhebungsvertrag sei nicht geschlossen worden; ohnehin sei dieser schriftlich zu vereinbaren. Die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Ein außerordentlicher Kündigungsgrund liege nicht vor, insbesondere resultiere ein solcher nicht aus der Streichung des § 132 e Abs.2 SGB V. Im Übrigen wären die Kündigungsfristen des § 9 Abs.2 Satz 1 der Rahmenverträge - ein Monat nach Kenntnis des Kündigungsgrundes - nicht gewahrt. Denn die Streichung des § 132 e Abs.2 SGB V sei der Antragsgegnerin spätestens seit dem 31.03.2017 bekannt gewesen. Auch sei die Ausschreibung nicht aufgehoben worden. Die besondere Dringlichkeit ergebe sich daraus, dass ein Abwarten zu einem wirtschaftlichen Schaden in Höhe von bis zu 1,8 Mio. € führen könnte. Zudem müsste der produzierte Impfstoff wegen der saisonalen Zusammensetzung und der begrenzten Haltbarkeit vernichtet werden. Vorbestellungen durch Apotheker und Großhändler erfolgten bis Ende Juni 2017. Apotheker und Ärzte seien fehlerhaft informiert. Die Antragstellerin habe aufgrund der Rahmenverträge kein Vorbestellformular zur Bestellung der Impfstoffe zu Festpreisen abgegeben. Sie habe daher keine Vorbestellung erhalten.

Mit dem Antrag verfolgt die Antragstellerin die Durchsetzung der Rahmenverträge und insbesondere Unterlassungsansprüche und die Durchsetzung von Öffentlichkeitsarbeit gegen die Antragsgegnerin. Diese führe die Verträge auch für die anderen Krankenkassen durch und habe mit ihrem Verhalten gegen die Verpflichtung zur Exklusivität verstoßen. Daher werde auch nur sie in Anspruch genommen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten

I.

gemäß ihrer vertraglichen Verpflichtung unverzüglich die I., sowie die Vertragsärzte in Rheinland-Pfalz und Saarland unter Verweis auf § 132 e Abs.2 Satz 2 SGB V in der bis zum 12.05.2017 gültigen Fassung, die gültige Impfvereinbarung und die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß § 12 SGB V sowie die J. über das Bestehen der am 07.11.2016 geschlossenen Rahmenverträge der Antragstellerin sowie die vertragsgegenständlichen Impfstoffe zu informieren. Insbesondere wird die Antragsgegnerin verpflichtet, öffentlich klarzustellen, beispielsweise durch Pressemitteilungen und entsprechende Rundschreiben und Informationsmaterial an Apotheken und Vertragsärzte sowie deren Verbände und Vereinigungen, dass

  1. die am 07.11.2016 geschlossenen Rahmenverträge mit der Antragstellerin wirksam sind,

  2. dass eine Vorbestellung der saisonalen Grippeimpfstoffe Xanaflu und Influvac während der Vertragslaufzeit grundsätzlich nur bei der Antragstellerin vorgenommen werden kann und,

  3. dass Apotheker bei einer produktneutralen Verordnung von Impfstoffen durch Vertragsärzte („Impfstoff gegen…“) verpflichtet sind, anhand von Informationsmaterial der Antragsgegnerin die jeweils rabattierten Impfstoffe auszuwählen und abzugeben, da andernfalls gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen kein Vergütungsanspruch besteht, mit Ausnahme von im Einzelfall aus medizinischen Gründen erforderlichen anderen Impfstoffvarianten, die auf den Namen des betreffenden Versicherten verordnet werden.

    II.

    die im Rubrum der am 07.11.2016 geschlossenen Rahmenverträge genannten Krankenkassen über das Bestehen der Rahmenverträge der Antragstellerin zu informieren;

    III.

    es zu unterlassen, Vereinbarungen abzuschließen, die der Exklusivitätszusage der Rahmenverträge zuwiderlaufen, insbesondere die „Ergänzungsvereinbarung zum Arzneimittelliefervertrag in der Fassung vom 01.10.2006“ zwischen der Antragsgegnerin und dem Saarländischen Apothekerverein e.V. zur Preisvereinbarung über Grippeimpfstoffe zu unterzeichnen;

    IV.

    Vereinbarungen, die der Exklusivitätszusage der Rahmenverträge zuwiderlaufen, unverzüglich zu beenden;

    V.

    den Saarländischen Apothekerverein e.V. und den Apothekerverband Rheinland-Pfalz e.V. unverzüglich darauf hinzuweisen, während der Gültigkeit Rahmenverträge keine weiteren Bestellungen für saisonale Grippeimpfstoffe an Wettbewerber der Antragstellerin weiterzuleiten, um weiteren wirtschaftlichen Schaden abzuwenden.

    VI.

    Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die jeweiligen Verpflichtungen gemäß dem Antrag zu II. ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000 € angedroht.

    Die Antragsgegnerin beantragt,

    den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

    Sie bestreitet das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs. Dem Antrag fehle es schon an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil die Antragstellerin ihr Ziel - die Durchsetzung der Vertragsexklusivität - nicht erreichen könne, weil sie nur die Antragsgegnerin in Anspruch nehme. Eine besondere Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, weil es lediglich um wirtschaftliche Nachteile ginge, die in einem Schadensersatzprozess geklärt werden könnten und im Übrigen angesichts der weltweiten Tätigkeit der Antragstellerin auch nicht glaubhaft gemacht seien. Ohnehin sei bereits mit der Produktion der Grippeimpfstoffe begonnen worden; die Vorbestellungen seien in der Regel bis Ende Mai abgeschlossen, sodass ein möglicher Schaden durch eine Entscheidung im Eilverfahren nicht mehr abgewendet werden könnte. Die Versorgungssicherheit sei nicht gefährdet. Ansprüche aus den Rahmenverträgen könnte die Antragstellerin nicht herleiten. Es sei treuwidrig, wenn sich die Antragstellerin auf das Schriftformerfordernis der Aufhebung der Verträge berufe, nachdem bereits mündlich eine Einigung erzielt wurde. Gespräche mit LAV und SAV seien mit der Antragsgegnerin ergebnisoffen geführt worden. LAV uns SAV würden sich an die Rabattverträge nach Wegfall des § 132 e Abs.2 SGB V nicht mehr gebunden fühlen, unabhängig von einer Information der Antragsgegnerin. Ohnehin habe diese auf das Bestellverhalten der Ärzte nur sehr begrenzten Einfluss. Mit Streichung des § 132 e Abs.2 SGB V sei die Rechtsgrundlage für eine exklusive Versorgung ersatzlos weggefallen. Auch habe die Antragsgegnerin die Verträge im Namen aller vertragsschließenden Krankenkassen wirksam innerhalb der Frist gekündigt. Ihre Auffassung sei außerdem durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bestätigt; dieses habe in einem Rundschreiben vom 27.03.2017, u.a. an den AOK Bundesverband, mitgeteilt, dass auch für laufende Verträge eine Exklusivität bei der Versorgung mit Impfstoffen nicht mehr gegeben sei. Die einzelnen Anträge der Antragstellerin würden über den Inhalt der Rahmenverträge hinausgehen. Im Übrigen würde ein Beschluss mit dem beantragten Inhalt gegen die Sprechstundenbedarfsvereinbarung und gegen Rechte von Wettbewerbern sowie Dritter verstoßen. Auch würde eine Entscheidung im Eilverfahren die Hauptsache vorwegnehmen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und dem sonstigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

    II.

    Der gemäß § 86 b Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist teilweise begründet.

    Nach § 86 b Abs.2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, das heißt des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, das heißt die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus.

    Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§86 b Abs.2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs.2 Zivilprozessordnung). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05).

    Gemessen an diesen Voraussetzungen hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise Erfolg. Denn die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend glaubhaft gemacht.

    Ein Anordnungsanspruch ist überwiegend gegeben.

    Rechtsgrundlage für die Ansprüche der Antragstellerin sind die Rahmenverträge, die auf Grundlage des § 132 e Abs.2 SGB V a.F. nach Durchführung eines Vergabeverfahrens geschlossen wurden. Vorliegend ist weder eine Unwirksamkeit aufgrund des Wegfalls des § 132 e Abs.2 SGB V gegeben, noch erfolgte eine wirksame Aufhebung der Verträge und auch eine wirksame Kündigung lag nicht vor.

    1.

    Dem Antrag steht zunächst nicht entgegen, dass die Antragstellerin allein die Antragsgegnerin in Anspruch genommen hat. Denn ausweislich der Ausschreibungsunterlagen ist Auftraggeberin des Vergabeverfahrens die Antragsgegnerin des vorliegenden Verfahrens. Sie beschafft zugleich im Auftrag der weiteren Krankenkassen zur Versorgung von Versicherten der Krankenkassen in den Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland im Sprechstundenbedarf den streitgegenständlichen Grippeimpfstoff. Die Antragsgegnerin wurde beauftragt, das Vergabeverfahren und den Vertragsabschluss durchzuführen sowie die Vertragsdurchführung federführend umzusetzen. Sie ist somit Herrin des Verfahrens und tritt nach außen auch so in Erscheinung. Dies ergibt sich auch aus den geschlossenen Rahmenverträgen. Nach diesen ist die Antragsgegnerin berechtigt, eine Kündigung aus wichtigem Grund im Namen aller Krankenkassen zu erklären. Von dieser Berechtigung hat die Antragsgegnerin Gebrauch gemacht und die Kündigung ausgesprochen. Ein Erscheinen der anderen Krankenkassen war nicht gegeben. Im Umkehrschluss muss sich auch die Antragsgegnerin an dieser Kündigung festhalten lassen. Eine Beiladung der weiteren Krankenkassen war nicht erforderlich; denn diese sind Vertragspartner und wären somit Partei, wenn sie von der Antragstellerin ebenfalls in Anspruch genommen worden wären. Die Antragstellerin hat aber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, allein die federführende Antragsgegnerin in Anspruch zu nehmen, zumal die anderen Krankenkassen bisher aus der Kündigung keine Rechte gegenüber der Antragstellerin herleiten. Es fehlt auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis, denn die Antragsgegnerin ist berechtigt, die Verträge allein im Namen aller beteiligten Krankenkassen durchzuführen und umzusetzen. Dazu gehört auch die Durchführung der Öffentlichkeitsarbeit (§ 5 der Rahmenverträge) und die Regelungen zur Exklusivität (§ 4 der Rahmenverträge).

    2.

    Nach Auffassung der Kammer sind die Rahmenverträge auch weiterhin wirksam.

    a.

    Zunächst ist nicht davon auszugehen, dass mit Streichung des § 132 e Abs.2 SGB V a.F. bestehende Verträge ihre Wirksamkeit verlieren. Zutreffend hat die Antragstellerin darauf abgestellt, dass die Gesetzesbegründung und der Verlauf der Beratung im Bundestag gegen eine solche Auslegung sprechen. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf vom 14.10.2016 - DS. 601/16 - hat die Streichung des § 132 e Abs.2 SGB V nicht vorgesehen. Lediglich zu § 130 a SGB V wurden Änderungen erarbeitet. Dazu wurde in der Gesetzesbegründung mitgeteilt, dass die Regelung nur für den Abschluss von Rabattverträgen nach Inkrafttreten der Regelung gilt und nicht die Geltung bereits geschlossener Rabattverträge berühre. In der ersten Beratung wurde dann die Abschaffung der Ausschreibung im Bereich der Impfstoffe diskutiert und dann auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit der § 132 e Abs.2 SGB V aufgehoben. In der Begründung heißt es lediglich: „Mit dem Inkrafttreten der Regelung entfällt die Grundlage für die exklusive Versorgung mit Impfstoffen. Bestehende Rabattverträge können nicht verlängert werden. Dies dient letztlich auch der Erhöhung der Impfquote.“. Inkraftgetreten ist das Gesetz am Tag nach der Verkündung. Eine Rückwirkung von einzelnen Regelungen ist nicht vorgesehen. Weder aus dem Zeitpunkt des Inkrafttretens noch aus der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass eine Rückwirkung bzw. eine Rechtsfolge auf bestehende Verträge beabsichtigt war. Dies würde auch dem üblichen Vorgehen widersprechen, dass Gesetzesänderungen - aus Vertrauensgesichtspunkten- sich auf abgeschlossene Zeiträume nicht auswirken, es sei denn, sie ordnen dies ausdrücklich an. Ohnehin hätte der Gesetzgeber dann auch nicht darauf hinweisen müssen, dass bestehende Rabattverträge nicht verlängert werden können. Denn dies wäre dann zwangsläufig so, wenn man davon ausgehen würde, dass mit Streichung des § 132 e Abs.2 SGB V die Rechtsgrundlage auch für bestehende Verträge entfällt und diese nicht mehr wirksam sind. Die ausdrückliche Regelung spricht vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber regeln wollte, dass bestehende Verträge auslaufen, aber nicht verlängert werden. Diese Auffassung ist auch insoweit überzeugender, weil Rabattverträge in der Regel längstens 2 Jahre laufen. Insofern konnte der Gesetzgeber von einer überschaubaren Zeit ausgehen, in der die Regelung des § 132 e SGB V noch Auswirkungen zeigt und sah sich nicht veranlasst, auch für bestehende Vereinbarungen eine Regelung zu treffen. Die Auffassung des BMG, dass die Streichung auch bestehende Verträge betrifft, teilt die Kammer nicht. Denn dann hätte der Gesetzgeber dazu eine Regelung treffen müssen.

    b.

    Auch ist eine wirksame Aufhebung der Rahmenverträge nicht gegeben. Nach § 10 Abs.6 der Verträge müssen Änderungen dem Formerfordernis nach Maßgabe von § 56 SGB X (Schriftform) genügen. Ein schriftlicher Aufhebungsvertrag liegt aber unstreitig nicht vor. Es ist der Antragstellerin auch nicht verwehrt, sich auf das Schriftformerfordernis zu berufen. Denn dieses wurde zwischen den Parteien vereinbart. Mündliche Abreden genügen gerade nicht. Zwischen den Parteien ist strittig, was genau in dem Gespräch am 02.05.2017 vereinbart wurde. Die Antragsgegnerin hätte die Möglichkeit gehabt, ein Protokoll anfertigen zu lassen, das zumindest kurz die gemeinsamen Gesprächsergebnisse dokumentiert, gerade angesichts der besonderen Bedeutung der Verträge. Dies ist nicht geschehen. Insofern verstößt es auch nicht gegen Treu und Glauben, wenn sich die Antragstellerin auf das Schriftformerfordernis beruft.

    c.

    Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass die Rahmenverträge wirksam gekündigt wurden. Eine Kündigung scheitert aber nicht daran, dass sie nicht innerhalb der Kündigungsfrist erklärt worden wäre. Die Kammer folgt dabei der Auffassung der Antragsgegnerin, dass Kenntnis vom Kündigungsgrund - wenn man die Streichung des § 132 e Abs.2 SGB V als Kündigungsgrund ansehen würde - erst mit Inkrafttreten des AMVSG gegeben wäre. Die Kündigung wäre damit innerhalb eines Monats erklärt. Aus Sicht der Kammer ist aber ein wichtiger Grund zur Kündigung nicht gegeben. § 9 Abs.1 Satz 2 der Rahmenverträge zählt die Gründe, die die Antragsgegnerin zu einer fristlosen Kündigung berechtigen, auf. Die Gründe unter den Buchstaben b) bis f) liegen unstreitig nicht vor. In Betracht käme allein § 9 Abs.1 Satz 2 a oder ein ähnlicher Grund, weil die Regelung nicht abschließend ausgestaltet ist. Nach Auffassung der Kammer hat aber der Gesetzgeber mit der Abschaffung des § 132 e Abs.2 SGB V nicht in bestehende Verträge eingegriffen, sondern lediglich eine Regelung für die Zukunft getroffen (s.o. unter a.). Somit fehlt es auch an einem wichtigen Grund.

    d.

    Die Kammer erkennt auch keine Gründe, die ein Festhalten an den Verträgen gemäß § 314 BGB unzumutbar machen würden. Nach §314 Abs.1 Satz 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei bestehen schon Zweifel, ob der § 314 BGB anwendbar ist, weil die Kündigung aus wichtigem Grund ausführlich im Rahmenvertrag geregelt wurde, sodass ggf. daneben für weitere Kündigungsregelungen kein Platz wäre. Unabhängig davon vermag die Kammer aber eine Unzumutbarkeit nicht zu erkennen. Vorliegend ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Laufzeit der Verträge mit 2 Jahren überschaubar ist. Eine Unzumutbarkeit ist auch nicht darin zu erkennen, dass SAV und LAV bereits Angebote für die Vereinbarung von Festbetragsregelungen treffen oder getroffen haben oder dass die kassenärztlichen Vereinigungen die Umsetzung der Rahmenverträge nicht unterstützen. Dabei handelt es sich um Folgeprobleme, die entstehen, weil ggf. eine auslegungsbedürftige gesetzliche Regelung in Kraft getreten ist. Die mit dieser Gesetzeslage betroffenen Vereinigungen / Parteien müssen aber für sich entscheiden, wie sie mit der gesetzlichen Rechtslage umgehen und ggf. bei fehlerhafter Anwendung die Konsequenzen tragen - wie sonst auch. Die Tatsache, dass SAV und LAV sich an die Rabattverträge nicht gebunden fühlen oder dass die Antragsgegnerin meint, das Bestellverhalten der Ärzte nur sehr begrenzt beeinflussen zu können, kann nicht zu einer Kündigung der Verträge aus wichtigem Grund führen. Da die Verordnung von Sprechstundenbedarf einheitlich über die Antragsgegnerin abgewickelt wird, sieht die Kammer auch keinen Verstoß gegen die Sprechstundenbedarfsvereinbarung.

    3.

    Da die Rahmenverträge auch weiterhin Geltung beanspruchen, hat die Antragstellerin im tenorierten Umfang einen Anspruch glaubhaft gemacht.

    Hinsichtlich der Informationspflicht besteht ein Anspruch der Antragstellerin auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Kassenärztlichen Vereinigungen Rheinland-Pfalz und Saarland sowie die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsärzte in Rheinland-Pfalz und Saarland sowie die Landesapothekerverbände in Rheinland-Pfalz und dem Saarland unter Verweis auf § 132 e Abs.2 SGB V, die gültige Impfvereinbarung und die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß § 12 SGB V unverzüglich über die Rabattvereinbarung zu informieren. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 5 Abs.1 der Rahmenverträge. Für eine darüber hinausgehende Unterrichtungspflicht fehlt es an einer Anspruchsgrundlage. Die in Ziffer I.a. geforderte Information ist überflüssig, weil sie sich aus der allgemeinen Information über die Rabattvereinbarung ergibt. Die unter Ziffer I.c. und I.d. und V. geforderten Informationen ergeben sich nicht aus den Rahmenverträgen. Die Voraussetzungen für Antrag in Ziffer II. sind nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat die weiteren Krankenkassen, die Parteien der Rahmenverträge sind, nicht in Anspruch genommen mit der Begründung, dass allein die Antragsgegnerin die Wirksamkeit des Vertrages in Zweifel gezogen hat. Dann besteht aber auch kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Information der weiteren Krankenkassen durch die Antragsgegnerin. Damit ist auch der Antrag aus Ziffer VI. nicht begründet.

    Der unter Ziffer III. aufgeführte Antrag - hier Nr.2 im Tenor - ergibt sich aus § 132 e Abs.2 Satz 2 SGB V a.F. in Verbindung mit § 5 Abs.3 der Rahmenverträge. Nach § 132 e Abs.2 Satz 2 SGB V a.F. gilt, dass die Versorgung der Versicherten ausschließlich mit dem vereinbarten Impfstoff erfolgt, soweit nicht anders vereinbart wird. Aus dem Gesamtkontext der Rahmenverträge ergibt sich, dass eine solche Exklusivität vereinbart wurde. Es finden sich keine Anhaltspunkte, dass lediglich weitere Rabattverträge ausgeschlossen werden sollten. § 5 Abs.3 der Verträge regelt die Verpflichtung, sämtliche Äußerungen gegenüber Dritten zu unterlassen, deren Inhalt dem Zweck des Vertrages zuwiderläuft. Der Abschluss der „Ergänzungsvereinbarung zum Arzneimittelliefervertrag in der Fassung vom 01.10.2006“ zwischen der Antragsgegnerin und dem Saarländischen Apothekerverein e.V. zur Preisvereinbarung über Grippeimpfstoffe würde der Exklusivität und damit dem Vertragszweck zuwiderlaufen.

    Der unter Ziffer IV. aufgeführte Antrag ist zu unbestimmt. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass bereits Vereinbarungen getroffen wurden.

    4.

    Vorliegend ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

    Dieser liegt vor, wenn es unzumutbar ist, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Davon geht die Kammer vorliegend aus. Dabei berücksichtigt sie, dass eine überwiegende Erfolgsaussicht für die Antragstellerin gegeben ist, dass die geschlossenen Rahmenverträge auch weiterhin gelten. Diese sind für 2 Jahre geschlossen. Eine abschließende Entscheidung in der Hauptsache ist in der Zeit realistischerweise nicht zu erwarten. Die Antragstellerin wäre damit darauf beschränkt, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Zwar mag eine Versorgung der Versicherten nicht gefährdet sein. Dennoch müsste die Antragstellerin einen Großteil des produzierten Impfstoffes wegen der Haltbarkeit und der nur saisonal nutzbaren Impfstoffe vernichten. Auch hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass noch nicht alle Bestellungen für die streitgegenständlichen Regionen erfolgt sind und trotz Vorbestellungen ein weiterer Bezug noch möglich ist, sodass mit der Entscheidung auch eine Rechtsverletzung begrenzt werden kann. Auch die Antragsgegnerin geht davon aus, dass die ersten Auslieferungen des Impfstoffes frühestens Mitte / Ende August in größeren Mengen zu erwarten sind. Die KV RLP empfiehlt auf ihrer Internetseite, keine Grippeimpfstoffe vorzubestellen, sondern diese bei Bedarf in angepassten Mengen zu ordern. Dies spricht dafür, dass trotz teilweiser Vorbestellung ein Großteil der Auslieferung noch nicht erfolgt ist. Dies rechtfertigt auch eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache, für die es dann erhöhte Anforderungen an das Vorliegen sowohl des Anordnungsgrundes als auch des Anordnungsanspruches bedarf (Lutz Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte, § 86b, Rn.73). Das ist hier der Fall. Ein Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens würde nicht mehr zu beseitigende Nachteile nach sich ziehen, weil die Vertragslaufzeit schon abgelaufen wäre und nicht mehr korrigiert werden könnte.

    Der Streitwert bestimmt sich nach §§ 63 Abs.1, 52 Abs.1 GKG und berücksichtigt, dass die Antragstellerin ein wirtschaftliches Interesse aus dem Vertrag in Höhe von bis zu 1.856.400 € geltend macht. Wegen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes wird der Wert halbiert.

    Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 197 a SGG, §155 VwGO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zulässig (§ 172 SGG). Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses beim Sozialgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBl. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§ 173 SGG). Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

E.

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln