Ärzte durften Cannabis-Extrakt Dronabinol bei Gallenblasenkarzinom verordnen
Urteil des Sozialgerichts Hannover S 20 KA 86/13
Regress der Prüfungsstelle Niedersachsen vorerst gescheitert
Die 20. Kammer des Sozialgerichts Hannover hat am 11.11.2015 entschieden, dass die klagenden Fachärzte für Innere Medizin den Cannabis-Extrakt Dronabinol zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnen durften. Einen Regress über 363,43 Euro beurteilten die Richter als nicht zulässig.
Die Patientin der Kläger litt an einem fortgeschrittenen Gallenblasenkarzinom. Nach der Resektion des dem Gallenblasenbett anliegenden Leberabschnittes und operativer Entfernung von Lymphknoten, klagte die Patientin über starke Übelkeit, Schmerzen im Bauchbereich, Blähungen und Verstopfung.
Das behandelnde Krankenhaus beurteilte die Erkrankung als lebensbedrohlich und in der Regel tödlich verlaufend. Aufgrund der ungünstigen Prognose wurde eine palliativ-supportive Behandlung begonnen. Um die Schmerzen auszuschalten verordneten die Kläger das Arzneimittel Dronabinol Tr. 2,5 % 500 mg, ein Cannabis-Extrakt, das nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehört. Die Kläger wandten sich vor dem Sozialgericht Hannover gegen den geltend gemachten Regress der Prüfungsstelle.
Die auch mit einem Arzt besetzte Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger auf Grundlage des sog. „Nikolaus-Beschlusses“ des Bundesverfassungsgerichts das streitgegenständliche Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnen durften. Das Bundesverfassungsgericht hat in Erkrankungsfällen, die als hoffnungslos erscheinen, aus grundgesetzlichen Vorgaben entnommen, dass Therapiemethoden, die nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen, unter bestimmten Voraussetzungen angewendet werden dürfen. Sofern eine lebensbedrohliche Erkrankung oder eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten auch auf Arzneimittel außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung, die eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten.
Diese Voraussetzungen bejahte die Kammer. Die Gabe von Dronabinol sei darauf gerichtet gewesen, auf die tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Insbesondere eine Morphiumbehandlung hätte den Appetit der Patientin vermindert und eine Verstopfung, die eine bekannte Nebenwirkung einer hochdosierten Opiatbehandlung sei, verstärkt. Durch die Gabe von Dronabinol habe ein Darmverschluss verhindert werden können. Hier finden Sie das Urteil im Wortlaut
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig (Aktenzeichen LSG Niedersachsen-Bremen L 3 KA 9/16).